Predigt am 12. Sonntag nach Trinitatis (18.08.2024) über Lukas 13,10-17 von Kerstin Strauch

Liebe Gemeinde,

sorgfältig stapelt die Kirchendienerin die Gesangbücher im Regal, ordnet die Flyer und Gemeindebriefe, die hinten ausliegen. Noch ein Blick über die zahlreichen Stuhlreihen. Viele waren es heute wieder nicht. Ein Blick in das Statistikbuch, das seit vielen Jahren geführt wird, zeigt: Es gab immer wieder Zeiten, wo nicht viele zum Gottesdienst kamen. Aber die Tendenz ist eindeutig. Es werden immer weniger.

In den Synagogen zur Zeit Jesu war vermutlich mehr los. Doch auch da gab es Menschen, die Dienst taten zum Wohl der Gemeinde. Sie hießen natürlich nicht Kirchendiener, sondern Synagogenvorsteher. Sie zündeten Kerzen an, teilten Gebetbücher aus und sorgten für Ordnung. Die Sitzordnung in Synagogen ist bis heute klar geregelt. In der Regel sitzen Frauen oben und Männer unten. Der Gottesdienst am Sabbat dauert oft mehrere Stunden. Er läuft nach einer bestimmten Liturgie ab. Das ist bis heute so. Und so war es auch, als Jesus auf seinen Reisen durch Galiläa an verschiedenen Orten predigte.

Wir hören den Predigttext für heute aus dem 13. Kapitel des Lukasevangeliums:

 

10Und er lehrte in einer Synagoge am Sabbat. 11Und siehe, eine Frau war da, die hatte seit achtzehn Jahren einen Geist, der sie krank machte; und sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten. 12Als aber Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr: Frau, du bist erlöst von deiner Krankheit! 13Und legte die Hände auf sie; und sogleich richtete sie sich auf und pries Gott.

14Da antwortete der Vorsteher der Synagoge, denn er war unwillig, dass Jesus am Sabbat heilte, und sprach zu dem Volk: Es sind sechs Tage, an denen man arbeiten soll; an denen kommt und lasst euch heilen, aber nicht am Sabbattag. 15Da antwortete ihm der Herr und sprach: Ihr Heuchler! Bindet nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel von der Krippe los und führt ihn zur Tränke? 16Musste dann nicht diese, die doch eine Tochter Abrahams ist, die der Satan schon achtzehn Jahre gebunden hatte, am Sabbat von dieser Fessel gelöst werden? 17Und als er das sagte, schämten sich alle, die gegen ihn waren. Und alles Volk freute sich über alle herrlichen Taten, die durch ihn geschahen.

 

Gott, regiere du unser Hören und unser Verstehen durch deinen Heiligen Geist. Amen.

Das muss man sich mal vorstellen. Ein fremder Gastprediger kommt in die volle Synagoge am Sabbat. Der Gottesdienst läuft. Der Synagogenvorsteher hat alle Hände voll zu tun. Plötzlich ruft der Prediger eine Frau von der Empore. Sie ist krank, ja, und das schon ziemlich lange. Sie braucht sicher Hilfe, aber alle, die ihr helfen wollten, mussten hilflos zusehen, dass nichts half. Trotzdem: Muss das denn jetzt sein, mitten im Gottesdienst, am Sabbat?

So denkt der Synagogenvorsteher. Und er macht seinem Ärger Luft. Schließlich sagt die Thora ganz klar, dass man am Sabbat nicht arbeiten soll. Gilt das denn alles nicht mehr?

Irgendwie habe ich Verständnis für diesen Synagogenvorsteher. Ich denke, er war ein engagierter, verantwortungsvoller und gläubiger Mensch. Er nahm seine Aufgabe ernst. So wie heute auch unsere Presbyterinnen und Presbyter und viele andere Verantwortung übernehmen für unsere Gemeinde. Vieles, was heute entschieden werden muss, ist sehr schwer und weitreichend. Die Statistiken und Umfragen legen offen, was wir selber spüren: Zur Kirche zu gehören, sich zu seinem Glauben zu bekennen, ist heutzutage alles andere als selbstverständlich. Ganz im Gegenteil. Viele werden mit großen Augen angeguckt, wenn sie dazu stehen. Umso größer ist dann die Anfechtung, wenn einer von innen heraus für Unruhe sorgt. Doch so ist Jesus.

Immer wieder hat er gelehrt, dass der Sabbat um des Menschen willen gemacht wurde. Er sieht die Frau, auch wenn sie weiter weg, auf der Empore sitzt. Er spürt ihre Not, ihre Fesseln. Die wiegen schwerer als alle Liturgie, alle Ordnung und Gesetze.

Er ruft sie zu sich. Er sieht sie an und löst ihre Fesseln. Er richtet sie auf und segnet sie. So ist Jesus.

In seiner Gegenwart löst sich etwas, was diese Frau 18 Jahre lang krank machte. Nach dieser heilenden Begegnung wird die Frau ihre Umwelt ganz anders wahrgenommen haben. Sie sah wieder in die Gesichter der Menschen, aus einer ganz anderen Perspektive. Wunderbar im wahrsten Sinne des Wortes.

Immer wieder berichtet die Bibel von solchen Heilungen, oft auch am Sabbat. Die Begegnung mit Jesus hat das ermöglicht.

Inwiefern wirklich ein medizinisches Wunder vorlag, vermag ich nicht zu sagen. Wir wissen, dass solche Wunder passiert sind. Dass Menschen Heilung erlebten, denen gesagt war, dass aus medizinischer Sicht nichts mehr möglich sei. Noch viel mehr Menschen aber warten auf solche Wunder, ohne sie erleben zu können. Das auszuhalten ist schwer.

In der Geschichte geht es aber auch ums Aufrichten im übertragenen Sinne. Was brauche ich, um aufrecht durchs Leben zu gehen? Wer stärkt mir den Rücken? Wer hilft mir auf, wenn ich am Boden liege?

Jesus Christus sieht uns. Seine Hand ist ausgestreckt. Er schenkt uns Kraft und Halt, sieht uns liebevoll an und kann auch unsere Verletzungen heilen.

Das zu erleben, dass Fesseln gelöst werden, dass ich gestärkt werde, dass andere in ihrer Not gesehen werden – darum geht es im Gottesdienst. Es ist wichtig, dass wir einen guten Raum haben, dass eine freundliche Atmosphäre herrscht und der Kaffee im Anschluss gut schmeckt. Bei allem Sorgen, Planen und Organisieren kann es aber immer wieder sein, dass plötzlich etwas anderes dran ist. Denn Gott sieht gerade die, die nur noch glimmen und nicht mehr brennen, die geknickt und gekrümmt sind.

Auch wenn wir nicht mehr so viele sind, Gott wird da sein und dafür sorgen, dass es weitergeht. Denn: Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. (Jes 42,3)

Amen.

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