Liebe Gemeinde,
als Predigttext hören wir heute einen Abschnitt aus dem dritten Kapitel des Buches Josua. Josua war von Mose als Nachfolger bestimmt worden. 40 Jahre Wüstenwanderung liegen hinter dem Volk Israel. Nun sollen die Wandernden endlich das Land erreichen, das Gott ihnen verheißen hatte. Da passierte folgendes:
Dann sagte Josua zum Volk: »Sorgt dafür, dass ihr heilig seid! Denn morgen wird der Herr unter euch Wunder tun.«
Und zu den Priestern sagte er: »Hebt die Bundeslade hoch und zieht vor dem Volk her!« Da hoben sie die Bundeslade hoch und gingen voraus.
Der Herr aber sprach zu Josua: »Heute will ich beginnen, dich vor den Augen aller Israeliten groß zu machen. Dann werden sie erkennen, dass ich mit dir bin, wie ich es mit Mose gewesen bin. Du selbst sollst nun den Befehl geben und zu den Priestern, die die Bundeslade tragen, sagen: Wenn ihr am Wasser des Jordan angekommen seid, dann bleibt dort stehen!«
Schließlich wandte sich Josua an die Israeliten: »Kommt hierher und hört, was der Herr, euer Gott, zu sagen hat!«
Dann sagte Josua: »Daran sollt ihr erkennen, dass ihr einen lebendigen Gott in eurer Mitte habt: Er wird vor euren Augen die Kanaaniter vertreiben, die Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und die Jebusiter. Seht auf die Bundeslade! Der Herrscher über die ganze Welt wird vor euren Augen durch den Jordan ziehen. Wählt aus den Stämmen Israels zwölf Männer aus, jeweils einen aus jedem Stamm. Dann schaut auf die Priester, die die Lade des Herrn tragen, des Herrschers über die ganze Welt. Wenn sie das Flussbett des Jordan betreten und mit ihren Füßen im Wasser stehen, wird das Fließen des Jordan unterbrochen. Das Wasser, das sonst immer weiter fließt, wird sich aufstauen wie bei einem Damm.«
Die Priester, die die Bundeslade des Herrn trugen, blieben im trockenen Flussbett des Jordan stehen. So kamen alle Israeliten trockenen Fußes hinüber, bis der Durchzug durch den Jordan abgeschlossen war.
Herr, regiere du unser Hören und Verstehen durch deinen Heiligen Geist. Amen.
(1. Sorgt dafür, dass ihr heilig seid! – Wie geht das?)
Mal angenommen, liebe Gemeinde, ihr steht vor so einer richtig großen Aufgabe. Ihr wisst, da muss ich jetzt Verantwortung für übernehmen. Das ist nicht mal so nebenbei gemacht. Es verlangt viel von mir. Und du weißt: Du wirst dein Bestes geben. Du hast dich vorbereitet, darüber nachgedacht, darauf hingelebt. Nun ist es soweit.
So geht es Menschen, die zum ersten Mal Eltern werden. Sie übernehmen eine riesige Verantwortung für einen kleinen Menschen, der ihnen anvertraut ist.
Oder jemand entschließt sich, einen Neuanfang zu wagen, in eine andere Stadt zu ziehen, sich einer neuen Aufgabe zu stellen. „Wird das gut gehen?“, fragt er sich.
Eine Jugendliche übernimmt die Aufgabe der Schülersprecherin. Von ihr wird verlangt, die Belange der Mitschüler zu vertreten und sich gut für sie einzusetzen. Und was, wenn es schiefgeht?
Auch ihr, liebe Presbyterinnen und Presbyter, habt eine große Verantwortung auf euch genommen, als ihr euch in den Dienst der Kirche gestellt habt. Wir tragen diese Verantwortung gemeinsam und gerade deshalb weiß ich genau, wie schwer sie wiegt.
Josua hat die Verantwortung von Mose übertragen bekommen, das Volk Israel ins Gelobte Land zu führen. Er ist der Nachfolger des großen Anführers, der so viele Konflikte und Segensmomente mit Israel erlebt hatte. Wird er dieser Aufgabe gerecht werden? Ehrlich gesagt, hatte Josua damals kaum eine andere Wahl. Und so macht er das, was von ihm verlangt wird, in der Hoffnung es hinzukriegen. Immerhin hatte er einen guten Lehrer. Und eines wissen wir: Josua wird es gut machen. Doch noch weiß man ja nicht, wie die Geschichte ausgehen wird. Noch ist Israel nicht im gelobten Land, aber kurz davor. Sie müssen über den Jordan gehen. Aber heißt das nicht, dass sie umkommen werden? „Über den Jordan gehen“ – das ist ein Sprichwort, das nichts Gutes verheißt! Oder? Wir werden später noch darauf zurückkommen. Erstmal gilt es, sich gut vorzubereiten. Josua weiß, dass eine große Veränderung unmittelbar bevorsteht. Da sagt er zu den Leuten: „Sorgt dafür, dass ihr heilig seid!“
Das ist der erste Schritt. Damit beginnt die Übernahme der großen Verantwortung. „Sorgt dafür, dass ihr heilig seid!“ Eine komische Anweisung. Was soll das überhaupt heißen?
Es wird hier nicht beschrieben, dass besondere Rituale durchgeführt wurden. Auch werden keine bestimmten Gebete gesprochen. Die Priester erhalten den Auftrag, die Bundeslade vor dem Volk herzutragen. Und damit erhalten wir konkrete Hinweise, was Josua hier mit Heiligung meint:
– Das Volk wird nicht mit Waffen und Triumphgebaren in das Land einziehen. Es wird ein Feldzug sein, sondern eine Art Prozession, angeführt von Gottes Wort, das symbolisch in der Lade verwahrt wird. Sein Wort, seine Weisungen fürs Leben, seine Angebote zur Freiheit – denn das sind die Zehn Gebote.
– Sich heiligen heißt, sich Gottes Gegenwart bewusst zu machen, sein Wort zu bedenken, danach zu handeln. Israel wird sich auch innerlich darauf vorbereitet haben.
(2. Warum sollen wir überhaupt heilig sein?)
Es geht hier nicht um eine politische Machterweiterung. Man geht heute davon aus, dass dieses Ereignis in die Zeit der indoeuropäischen Völkerwanderung fällt und es höchstwahrscheinlich keine kriegerische Invasion des Zwölf-Stämme-Volkes Israel in Kanaan gab. Was hier im Buch Josua beschrieben wird, ist ein Gottesdienst im besten Sinne. Da machen sich Menschen gemeinsam auf den Weg, um Gott zu dienen, seinem Wort zu folgen. Die Frage darf allerdings gestattet sein: Warum ist diese Heiligung eigentlich wichtig beim Einzug ins Gelobte Land? Was haben die Israeliten davon?
Mich beeindrucken in diesem Zusammenhang die Worte der früheren Kanzlerin Angela Merkel. Zu ihrer Vereidigung als Bundeskanzlerin hatte sie sich bewusst für den Zusatz „So wahr mir Gott helfe“ entschieden. Dazu schreibt sie in ihrer Biographie: „Ich glaube daran, dass es Gott gibt, auch wenn ich ihn oft nicht direkt erfassen oder erfühlen kann. Da ich weiß, dass ich nicht vollkommen bin und Fehler mache, hat der Glaube mir das Leben und auch meinen Auftrag leichter gemacht, mit der mir zeitweise gegebenen Macht Verantwortung für meine Mitmenschen und die Schöpfung zu übernehmen… Es macht mich froh… zu sehen, dass während meiner Kanzlerschaft jenseits des täglichen Wirrwarrs an Ereignissen etwas existierte, das mir Halt gegeben hat.“ (Angela Merkel, Freiheit, S. 354f)
Sich heiligen heißt bedeutet eine aufmerksame Lebenshaltung, die auf Gott ausgerichtet ist und sich grundsätzlich auf ihn verlässt – sei es durch das bewusste Hören und Lesen auf die Worte der Bibel oder durch geistliche Erfahrungen als Kraftquellen, die uns immer wieder geschenkt werden können.
So vorbereitet machte sich Josua mit dem Volk Israel auf den Weg in einen ganz neuen Lebensabschnitt – allen voran die Priester mit der Bundeslade.
(3. Und für einen Moment bleibt die Welt, oder besser gesagt der Jordan, stehen.)
Und dann bleibt die Welt für einen Moment stehen, oder besser gesagt, der Jordan. Es ist ein Übergangsritual, das sich da vollzieht. Sie gehen wortwörtlich über den Jordan. Das Sprichwort erinnert daran und wurde von der christlichen Tradition aufgegriffen. Mit dem Übergang über den Jordan tritt man in das Himmelreich ein – ein Bild für das Leben nach dem Tod. Sicher hat bei dieser Vorstellung auch die Erzählung über Jesu Taufe im Jordan eine Rolle gespielt. Durch die Taufe beginnt ein neues Leben, das nicht durch den Tod begrenzt ist. Der Fluss ist das Verbindungsglied der Geschichten, die uns heute, am 1. Sonntag nach Epiphanias beschäftigen.
Es sind ganz große, wichtige Momente, die geschildert werden: Da bleibt die Welt für einen Moment stehen. Da ist innehalten angesagt, denn es stehen große Veränderungen bevor. Sowohl beim Zug der Israeliten durch den Jordan als auch bei der Taufe ist Gottes handeln spürbar, erlebbar. Ja fast halten wir einen Moment den Atem an, weil da etwas ganz Großes passiert in einer sich ständig verändernden Welt. Dieses Große, dass Gott an uns und mit uns handelt, will erinnert und bewusstgemacht werden. So ist diese Geschichte eine wichtige Erinnerungsgeschichte. Gott sorgt dafür, dass die Israeliten am Ort der Verheißung ankommen. Sie tun das nicht mit großer Waffenschau und politischen Gebaren, sondern indem sie Gottes Wort vollkommen und sich bewusst auf seine Gegenwart einlassen.
Diese Haltung ist auch heute gefragt. Auch wir stehen an großen Übergängen, wenn wir uns die Entwicklungen in Europa und in unserem Land anschauen. Werden wir uns heiligen, bevor wir eine Entscheidung treffen? Die Erzählung aus dem Josuabuch kann als Erinnerungsstütze helfen, damit auch wir – wie das Volk Israel damals – unter seiner Führung in eine gute Zukunft gehen können.
Amen.