Über Pfingsten berichtet uns Lukas in der Apostelgeschichte. Dort lesen wir im 2. Kapitel (VV. 1-18):
1 Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. 2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. 3 Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, 4 und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab. 5 Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. 6 Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde verstört, denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. 7 Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, Galiläer? 8 Wie hören wir sie denn ein jeder in seiner Muttersprache? 9 Parther und Meder und Elamiter und die da wohnen in Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, Pontus und der Provinz Asia, 10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Römer, die bei uns wohnen, 11 Juden und Proselyten, Kreter und Araber: Wir hören sie in unsern Sprachen die großen Taten Gottes verkünden. 12 Sie entsetzten sich aber alle und waren ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? 13 Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins.
14 Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, vernehmt meine Worte! 15 Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde des Tages; 16 sondern das ist’s, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1-5): 17 »Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; 18 und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen.
Liebe Gemeinde,
das also ist die Geschichte von Pfingsten. Das ist es, was geschah, vor rund 2000 Jahren in Jerusalem, am Pfingstmorgen. 50 Tage nach Ostern saßen die Jünger zusammen, alle an einem Ort. Und Gott macht sein Versprechen war, dass er durch Jesus den Jüngern gegeben hat. Er schickt seinen Tröster. Gottes Kraft kommt auf sie, und das verändert sie massiv. So massiv, dass einige der Menschen auf den Jerusalemer Straßen annehmen, sie wären betrunken. Irgendetwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu!
Und das stimmt auch irgendwie. Wenn Gottes Geist, Gottes Kraft uns Menschen „befällt“, dann ist das alles andere als normal. Dann ist das außergewöhnlich. Das ist etwas ganz Besonderes. Plötzlich sprechen sie in Sprachen, die sie niemals zuvor beherrscht haben, vielleicht sogar noch niemals zuvor gehört. Wessen Herz voll ist, dem geht der Mund über – so heißt ein bekanntes Sprichwort. Und ich glaube, genau das ist an Pfingsten geschehen. Den Jüngerinnen und Jüngern wurde das Herz voll – übervoll – es quoll nur so über vor lauter „Begeisterung“. Gottes Geist hat von ihnen Besitz ergriffen. Gottes Geist ist wie ein Wind, der die depressiven, die traurigen, die hoffnungslosen Gedanken der letzten 50 Tage aus den Köpfen und Herzen der Jesus-Anhänger pustet. Alles Schwere wird weggeblasen, damit die Freude und Kraft an Gottes Geist, damit seine Kraft einziehen kann in die Köpfe und Herzen der Menschen. Und dann können sie nicht mehr anders als davon zu reden – von ihm zu zeugen, der ihnen diese Kraft, diese Freude, diesen guten Geist schickt. In den jeweiligen Sprachen der Zuhörer. Fantastisch ist diese Geschichte – und vielleicht ist sie deswegen auch ganz nahe bei Gott. Gott, der mit seinem Wort das Leben, die Welt, die Schöpfung mit allem, was dazu gehört, ins Leben rief, er schickt uns seinen Heiligen Geist, damit wir immer wieder, jeden Tag neu, seine Nähe spüren können.
Mir fällt dabei die Geschichte von Hartmut ein.
Ein Mann, Ende vierzig, lebt zurückgezogen in einem großen Mietshaus. Seine Nachbarn kennen ihn als schüchternen, unauffälligen Zeitgenossen. Manchmal treffen sie ihn im Treppenhaus. Man grüßt sich mit einem stillen Kopfnicken. „Meyer“ steht an der Türklingel zu seiner Wohnung. Dass er Hartmut mit Vornamen heißt, weiß eigentlich keiner. Hartmut Meyer macht sich jeden Morgen zeitig auf, um zu seinem Arbeitsplatz zu kommen. Er arbeitet im Akkord, montiert Einzelteile an landwirtschaftlichen Großgeräten. Auch auf der Arbeit redet Hartmut kaum mit jemandem. In den Pausen reden die Kollegen über Fußball oder die Grillfeier am Wochenende. Hartmut schlürft seine Tasse Kaffee, isst ein Leberwurstbrot und kehrt zurück an seinen Platz. Doch eines Morgens ist Hartmut nicht da. Die Kollegen wundern sich. Nicht dass sie ihn besonders vermissen würden, aber ungewöhnlich ist es doch. Als er auch am zweiten und dritten Tag nicht zur Arbeit erscheint, beschließen zwei der Kollegen, nach der Arbeit bei ihm vorbeizuschauen. Sie lassen sich die Adresse von der Sekretärin geben und machen sich auf den Weg.
Auf dem Türschild steht „Meyer“ – hier klingeln sie. Es dauert einige Zeit, bis jemand öffnet. Mit großen, traurigen Augen steht Hartmut den beiden Kollegen gegenüber. Fast erschrocken schaut er aus. „Was macht ihr denn hier? Was wollt ihr von mir?“ sagen seine Blicke. Doch Hartmut nickt nur mit dem Kopf und deutet den beiden hereinzukommen. Seine Wohnung wirkt kalt, fast steril. Nichts liegt herum. Zwei Paar Schuhe stehen geputzt auf dem Regal. Darüber hängt eine Softshell-Jacke. Im Wohnzimmer steht ein gekachelter Tisch und eine Sofaecke, die fast unbenutzt aussieht. An der Wand hängt ein Flachbildfernseher. Keine Bilder, keine Fotos, nichts Persönliches ist zu sehen. Die drei Männer setzen sich. Was nun?
Die Zeit scheint still zu stehen. Anspannung liegt in der Luft.
Dann fängt einer der beiden Arbeitskollegen an zu reden: „Wir haben uns Sorgen gemacht, weil du drei Tage nicht auf Arbeit gewesen bist. Bist du krank?“ In Hartmuts Gesicht steigt Röte auf. Er öffnet die Lippen und stößt undeutliche Laute aus, langsam beginnt er zu sprechen: „Ja – krank geschrieben.“ Verlegen schaut er auf den Boden. Hartmut hat schon als Kind ganz schlimm gestottert. Oft wurde er deswegen ausgelacht. Mit den Jahren hat er aufgehört zu sprechen, sich ganz in sich zurückgezogen. In seiner Wohnung fühlt er sich sicher. Hier kann ihm niemand wehtun, hier lacht ihn niemand aus, hier starrt ihn niemand an. Ganz isoliert lebt er, hat keine Freunde, keine Verwandten. Die Tage laufen mechanisch ab. Hartmut versucht alle Gedanken zu verdrängen, lenkt sich ab mit Fernsehen und Arbeiten. Doch im Moment fühlt er sich unsicher. Zwei Menschen sind in seine Welt eingedrungen, kommen ihm ganz nahe. Was wird geschehen?
Er spürt, dass sich etwas verändern wird. Da sind ihm plötzlich zwei ganz nahe gekommen.
2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. 3 Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, 4 und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab.
50 Tage der Einsamkeit, 50 Tage der Sprachlosigkeit, der Resignation sind mit einem Mal vorbei – weil Gott ganz nahe zu den Menschen kommt. In Jesus Christus ist Gott Mensch geworden und kam uns Menschen damit ganz nah. Und nachdem Jesus wieder zu seinem himmlischen Vater gegangen ist, schickt dieser den Heiligen Geist, damit wir die neu gewonnene Nähe nicht wieder verlieren. Gott will uns nahe sein – immer wieder, jeden Tag neu. In der Pfingstgeschichte werden die Mauern aus Trauer, aus Angst und Verzweiflung durchbrochen durch die Ausgießung des Heiligen Geistes.
Auch bei Hartmut wurde durch den Besuch seiner Kollegen etwas durchbrochen. Gezwungenermaßen reagiert er auf die an ihn gestellten Fragen und offenbart das, was er lange geheim hielt – aus Angst vor der Gefahr, wieder verletzt zu werden. Nur langsam gewinnt er die Sprache zurück, öffnet seine Ohren für die Umwelt. Ein erster Schritt.
Hier wird ganz klar, woher die Kraft zur Heilung kommt – aus dem Himmel. Es ist eine Gottesgabe. Wie heilsam ist daher der Segen, ein Geschenk des Himmels, das uns zugesprochen wird. Der Segen stärkt uns für unsere Aufgaben, begleitet uns im Leben und im Sterben.
Gesegnet zu werden macht Mut und schenkt Kraft, wenn wir uns dafür öffnen. Wir werden gestärkt, um mit hörenden Ohren und offenen Augen in diese Welt zu gehen. Dann werden wir zum Sprachrohr für all diejenigen, die verstummt sind. Dann tragen wir Gottes heilsame Gegenwart an Orte, wo Menschen sie nicht vermuten. Genauso wie es bei Hartmut und seinen Kollegen war. Die Begegnung mit Menschen, die die Mauer des Schweigens durchbrachen, war der Anfang.
Der Geist Gott kann überall wehen. Er kann nicht eingesperrt werden, unterliegt keinen Beschränkungen und Verboten. Daher kann Paulus sagen: Wo der Geist Gottes weht, da ist Freiheit. (2 Kor 3,17)
Es das nicht wirklich ein Grund begeistert zu sein? Denn dieser Geist, an den wir heute zu Pfingsten besonders erinnern, ist ja immer da für uns – nicht nur heute. Wir dürfen um ihn bitten und uns erfüllen lassen. Und dieser Geist, Gottes Kraft, sein Segen kann uns weiterhelfen, Krisen zu meistern, Herausforderungen zu überstehen, sich treu zu bleiben, Streit zu schlichten, Ängste zu überwinden und vieles mehr.
Was sind Dinge, für die Sie Gottes Geist brauchen?
Gott will seinen Geist ausgießen – auch heute und auch für dich.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.
Amen.