Predigt am letzten Sonntag nach Epiphanias (02.02.2020) in der Johanneskirche Pirmasens über Johannes 8,12-16

Liebe Gemeinde!

„Gerechtigkeit! Darum geht es doch! Um Gerechtigkeit! Das, was ich verlange, ist nicht zu viel! Nur das, was mir zusteht. Gerecht soll es zugehen.“ Solche Gedanken hat ein 17-jähriger Junge in einem Berliner Stadtteil. Oder einem Pfälzer Kleinstadt. Er lebt – wie seine Eltern schon lange – von Hartz 4. Alles muss er sich vom Mund absparen. Mit seinen Mitschülern kann er schon lange nicht mehr mithalten. Immer das neueste Handy, das neueste Computerspiel, die neuesten Klamotten. Da wird er schnell zur Lachnummer abgestempelt, zum Looser. In die richtig coolen Cliquen kommt er überhaupt nicht. Er ist ein Außenseiter, ein Verlierer unserer Gesellschaft. Wie kann es sein, dass andere aus seiner Klasse das vierte Smartphone, einen Gaming-PC und einen eigenen Roller haben, wo er nur mit dem Bus oder dem Fahrrad fahren kann? Wie kann es sein, dass manche 4mal die Woche ins Kino gehen, während er sich schon einmal im Monat nicht leisten kann? Wie kann es sein, dass die, die sowieso schon alles haben, auch noch bei den Lehrern besser ankommen? Gerechtigkeit! Darum geht es ihm! Nur das, was ihm zusteht. Einmal etwas Neues, Cooles, Angesagtes haben. Und so kommt es, dass er im Elektronikfachmarkt etwas mitgehen lässt. Ein Handy. Noch nicht einmal das beste und tollste, aber einfach mal nichts Gebrauchtes, von anderen Abgelegtes.

Natürlich wurde er dabei erwischt. Jetzt steht er vor dem Jugendrichter, der Recht sprechen wird über ihn. Aber gerecht ist das alles nicht!

Liebe Gemeinde!

Um Rechtsprechung und um Gerechtigkeit geht es auch in unserem heutigen Predigttext.  Den ersten Teil  kennen wir wahrscheinlich alle, doch der Zusammenhang von Licht und Recht ist uns möglicherweise noch nicht so bewusst gewesen. Ich lese aus dem Johannes-Evangelium, dem 8. Kapitel:

Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.

Da sprachen die Pharisäer zu ihm: Du gibst Zeugnis von dir selbst; dein Zeugnis ist nicht wahr.

Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Auch wenn ich von mir selbst zeuge, ist mein Zeugnis wahr; denn ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe; ihr aber wisst nicht, woher ich komme oder wohin ich gehe.

Ihr richtet nach dem Fleisch, ich richte niemand.

Wenn ich aber richte, so ist mein Richten gerecht; denn ich bin’s nicht allein, sondern ich und der Vater, der mich gesandt hat.

 

Ein ganz bekannter Text von Licht und Dunkelheit, wie wir ihn schon hundert Male gehört haben. Eines der berühmten „Ich-bin“-Worte Jesu aus dem Johannesevangelium. Ich bin das Licht der Welt. Und oft hören wir diese Worte und hinterfragen sie überhaupt nicht mehr. Gerade in der dunklen Jahreszeit mit den vielen Lichtern und Lampen, da ist uns dieses Jesuswort besonders vertraut. Heute feiern wir den letzten Sonntag nach Ephiphanias. Epiphanias – Erscheinung – so heißt dieses Kirchenfest. Erschienen waren damals die drei weisen Männer an der Krippe, um das Jesuskind zu sehen. Erschienen war ihnen der Stern, der hell über allem strahlte und ihnen den Weg zeigte. Und erschienen war Jesus selbst, der Messias, der von diesem Moment an nicht mehr in der geschützten Welt seiner Familie lebte, sondern der schon als Neugeborenes für alle Welt etwas bedeuten sollte.

Heute feiern wir Lichtmess. Dieses Fest ist sehr alt. Es wurde schon im 5. Jahrhundert gefeiert. Heute ist das Weihnachtsfest 40 Tage her. Und nach jüdischer Sitte wurde ein Neugeborenes nach 40 Tagen in den Tempel gebracht, um es vor Gott zu bringen. Auch für die Mutter war dieses Ritual wichtig, denn von nun an galt sie nicht mehr als kultisch unrein. Mit diesem Fest endet die Weihnachtszeit. Die Menschen im Mittelalter nutzten dieses Fest, um all ihre Kerzen für das Jahr in der Kirche segnen zu lassen. Es gab große Lichterprozessionen und natürlich wurden auch viele Kerzen und Wachswaren auf großen Märkten verkauft. Die hießen „Lichtmessen“ und so entstand der Name.

Es geht um das Licht, immer wieder. Das Licht, was wir so nötig zum Leben brauchen und das Licht, was Jesus für uns sein will.

Wir erinnern uns noch einmal an Weihnachten: Das Licht der Welt ist geboren. Aber die Pharisäer zur Zeit Jesu nehmen sein Bildwort vom Licht nicht so selbstverständlich auf. Sie fragen kritisch nach. Zu sehr liegt ihnen ihr Glaube am Herzen, als dass sie so einfach akzeptieren könnten, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Und so kommt das Gespräch schnell vom Licht zum Gericht. So nahe beieinander liegen diese beiden Begriffe. Die Pharisäer haben – nach dem Bericht des Evangelisten Johannes – ihr Urteil schnell gefällt. Sie richten über Jesus und seine Botschaft und stempeln ihn als Lügner ab. Aber Jesus gibt eine eindeutige Antwort: Ihr kennt nicht alle Hintergründe! Ihr wisst nicht, wo ich herkomme, ihr wisst nicht, wo ich hingehe! Wenn ihr das wüsstet, dann würdet ihr mich nicht als Lügner bezeichnen. Ihr richtet und urteilt allzu schnell. Nach dem Fleisch – so schreibt Johannes. Ihr schaut auf das Äußere, auf das, was ihr erfassen, begreifen, anfassen, erkennen könnt. Doch es gibt noch mehr als das, was ihr versteht und erkennt. Die Geburt von Jesus ist viel größer, als wir alle uns das vorstellen können. Das Wunder von Weihnachten ist doch, dass Gott Mensch wird. So einfach und doch so kompliziert. Gott wird Mensch. Und er kommt nicht so, wie wir das vielleicht erwarten würden. Ohne Pracht, Reichtum und Macht. Er wird Mensch – mit allem, was zum Menschsein dazugehört. Und das sind auch volle Windeln und Hungerschreie, aber auch das goldige Lächeln eines kleinen Säuglings, das alle Menschen verzaubern kann.

So wird Gott Mensch. Als kleines Baby im Stall. Die Weisen aus dem Morgenland gehen zunächst nach Jerusalem, in die Königsstadt. Dort muss der neue Herrscher doch geboren sein, im Palast. Das wäre das Augenscheinlichste. Aber Gott hat sich das anders gedacht, als wir uns das vielleicht mit unserem menschlichen Verstand ausgedacht haben.

Und genau so wird Gott richten, wird er Recht sprechen. Wir haben mit unserem menschlichen Verstand ganz klare Vorstellungen von Rechtsprechung und Gerechtigkeit. Aber ob Gottes Gerechtigkeit tatsächlich so aussieht wie unsere? Das wage ich zu bezweifeln. Der Mensch Jesus richtet nicht, das sagt er in unserem Predigttext. Und das erwartet er auch von seinen Gegenübern. Sie sollen nicht vorschnell und dem Augenschein nach urteilen, sie sollen die Dinge hinterfragen, hinter das Offensichtliche sehen. Und sie sollen das Richten dem überlassen, der alles versteht, von Anfang bis Ende, weil er selbst der Anfang und das Ende ist. Der Mensch Jesus richtet nicht. Doch einen Satz später kann er davon sprechen, dass sein Richten gerecht sei, weil er dort in der Einheit mit seinem Vater richtet. Hier wird noch einmal deutlich, dass Jesus Christus beides ist: Wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich. Das ist für unseren menschlichen Verstand kaum zu glauben oder zu verstehen. Doch bei Gott kann das gedacht werden. Gott ist der einzige Richter, der echte Gerechtigkeit sprechen kann.

Deshalb sollen wir Menschen das auch besser sein lassen.

Nun ist dieser Text sicherlich keiner, der sich für Anarchie oder einen rechtsfreien Staat ausspricht. Menschliche Gesetze und Gerichte sind für unsere Gesellschaft unabdingbar. Aber das vorschnelle Urteilen, das wir alle nur allzu gerne tun, wird durch Jesus selbst aufs schärfste verurteilt. Schon im Alten Testament, als der jüngste und kleinste der Brüder, nämlich der später große und kluge König David auserwählt ist, steht der Satz: Der Mensch sieht, was vor Augen ist; Gott aber sieht das Herz an!

Was ist nun aber mit dem Jungen aus unserer Beispielgeschichte?

Er wird vermutlich zu Sozialstunden verurteilt, die er widerwillig ableistet, wird noch mehr gehänselt, verliert noch mehr Selbstwertgefühl, gerät immer weiter in die Spirale aus Kriminalität und Gefängnis, Verlust und Aggression. Oder aber er begegnet während seiner Sozialstunden einem Sozialarbeiter, der sich um ihn bemüht. Der nicht nur den Straftäter oder den Looser sieht, sondern den Mensch mit all seinen Bedürfnissen, Ängsten, Nöten und Sorgen, aber auch mit seinen Stärken und Begabungen. Der ihn fördert, ihm etwas zutraut und ihm damit wieder Selbstvertrauen schenkt. Vielleicht gelingt dem Jungen, nach seinem ersten Diebstahl die Kurve zu kriegen und er befreit sich aus dieser sozialen Isolation, in die er hineingeboren wurde und in die ihn seine Mitmenschen hineingebracht haben.

Und vielleicht sind auch wir als Gesellschaft mitschuldig am Verhalten dieses Jungen? Vielleicht ist es tatsächlich ungerecht, dass er am Existenzminimum leben muss, während um ihn herum es so viele Menschen gibt, die im absoluten Überfluss leben? Wer richtet über diese Ungerechtigkeiten? Gilt bei uns das Gesetz des Stärkeren? Oder sind wir als Kirchengemeinde eine Gemeinschaft, die gerade auch die Schwachen mitträgt und fördert? Es geht Jesus immer wieder um den zweiten Blick auf Menschen, die auf den ersten Blick nur unangenehm und störend wirken. Lassen wir uns vom Äußeren nicht täuschen. Das Licht der Welt scheint uns voraus. Dadurch können wir erkennen, welchen Weg wir zu gehen haben. Manchmal werden auch Dinge erhellt, die unangenehm und schwierig sind. Aber Licht ist immer zweierlei: Wärme und schonungsloses Hinsehen. Beides wirkt Gott und er schaut uns ins Herz. Er ist das Licht der Welt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus,  unserem Herrn. Amen.

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