Der Predigttext für den heutigen, 5. Sonntag nach Trinitatis, steht im 1. Brief des Paulus an die Korinther. Ich lese aus dem 1. Kapitel die Verse 18-25:
Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden;
uns aber, die wir selig werden, ist’s eine Gotteskraft.
Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichtemachen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.«
Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?
Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben. Denn die Juden fordern Zeichen und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.
Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.
Liebe Gemeinde,
erst den Verstand einschalten, dann etwas tun! Diesen Satz kennen wir alle, oder den: Zuerst denken, dann reden. Auch eine beliebte Weisheit, die man die eigenen Kinder immer wieder wissen lässt. Unser Verstand, die Vernunft ist eine wunderbare Gabe, eine Fähigkeit, mit der wir ausgestattet worden sind, um überhaupt überleben zu können. Kinder werden heute vom Kindergarten an zu eigenständigen, selbst denkenden und kritischen Menschen erzogen. Das ist wichtig, um sich im Leben zurechtzufinden und um den eigenen Weg zu finden. Die Bewegung „Fridays for Future“ zeigt die große Ernsthaftigkeit von jungen Menschen, die ihren Verstand einsetzen, um unseren Planeten zu retten.
Weisheit, Erkenntnis und Besonnenheit gehören zu den Fähigkeiten, die sich die meisten Eltern für ihre Kinder wünschen. Es verwundert nicht, dass zwei Verse aus dem 2. Kapitel des Sprüchebuches zu den beliebtesten Taufsprüchen des letzten Jahres gehören. Da heißt es: Denn Weisheit wird in dein Herz eingehen, und Erkenntnis wird deiner Seele lieblich sein, Besonnenheit wird dich bewahren und Einsicht dich behüten. (Spr 2,10f.) Der Autor des Sprüchebuches führt Weisheit, Erkenntnis, Besonnenheit und Einsicht auf Gott zurück, der uns diese Fähigkeiten schenkt, wenn wir an ihn glauben. Weisheit und Erkenntnis ist also nichts, was dem Glauben gegenüberstehen und ihn gar verhindern würde. Nach alttestamentlicher Erkenntnis geht die Weisheit mit Gott Hand in Hand, liegt in seiner Existenz begründet.
An Gott zu glauben, mit seiner Existenz zu rechnen ist im Europa des 21. Jahrhunderts alles andere als selbstverständlich. Laut der neuesten Shell-Jugendstudie geben 41% der Jugendlichen an, dass Gott für sie unwichtig sei (im Jahr 2002 lag der Wert bei nur 30%). In vielen Fällen begründen sie das mit dem Satz: Ich kann an nichts glauben, was ich nicht nachweisen kann. Gott kann ich nicht beweisen, also glaube ich nicht dran.
Manchmal hätte ich es auch so gerne: Gott zu beweisen, ihn zu sehen, anfassen zu können. Das würde schon vieles erleichtern. Da unterscheiden wir uns gar nicht so sehr von denen, die im Brief des Paulus Zeichen einfordern, um glauben zu können oder die ihn mit dem Verstand fassen wollen, den Juden und den Griechen. Immer wieder ertappen wir uns als Christinnen und Christen bei diesem Vorhaben: Wie viel wird in der theologischen Wissenschaft seit Jahrhunderten diskutiert, geforscht und geschrieben. Ich gebe zu, dass ich mich sehr gerne daran beteiligt habe und mir theologische Diskurse durchaus Freude bereiten.
Dinge zu durchdenken, zu hinterfragen, Gott zu suchen – das alles sind doch Grundäußerungen des christlichen Glaubens. Glaube ohne eigene Bewegung ist nicht zu haben.
Dennoch hören wir heute äußerst kritische Worte des Paulus dazu, wenn er schreibt: Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben.
Gemeint ist hier die Torheit vom Kreuz. Wer zuvor hat schon von einem Gott gehört, der sich ans Kreuz nageln ließ. Eine größere Demütigung lässt sich nicht vorstellen. Kreuz und Gott – das gehört nicht zusammen. Gott verbinden wir doch auch hier mit prächtigen Altären, schönen Blumen am Sonntagmorgen, mit Orgelmusik und Lobpreis, mit goldgefassten Bibeln … Jesus Christus aber hing misshandelt und verhöhnt am Kreuz. Ein erbärmlicher Anblick, so hilflos, so allein. In der Frühzeit der Kirche hatten Christinnen und Christen immer wieder mit diesem Ärgernis und der Torheit des Kreuzes zu kämpfen, wurden ausgelacht und verpönt deswegen. In einer alten Hauskirche in Rom findet sich eine Wandzeichnung. Zu sehen ist ein Strichmännchen, das vor einem Esel am Kreuz steht. Darunter der Schriftzug: Alexandros betet seinen Gott an.
Es hat lange gedauert, bis aus diesem Ärgernis, dem Skandal des Kreuzes der Goldanhänger wurde, den wir in allen Preislagen beim Juwelier kaufen können. Ein Ärgernis ist uns das Kreuz heute schon lange nicht mehr. Oder doch?
Ein junger Mann bekennt sich offen vor seinen Mitschülern zu seinem Glauben. Daraufhin wird er von den anderen milde belächelt. Einer fragt: Wie kannst du denn an so was glauben? Bist du dumm?
Und ich sage: Mit Dummheit hat Glaube nichts zu tun, sondern mit tiefer Weisheit und Erkenntnis, dass Gott die Basis unseres Lebens ist. Der Glaube daran rechnet auch mit der Durchkreuzung unseres Lebens an unverständlichen Stellen. Gott ist eben kein wissenschaftliches Phänomen, keine psychologische Theorie oder mathematisches Konstrukt, das sich in menschlichen Kategorien fassen ließe. Insofern übersteigt er alle unsere menschliche Weisheit. Daran zu glauben mag manchen als dumm erscheinen. Bei Paulus aber lesen wir: Die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.
Wir können Gott alles zutrauen und mit dem Unmöglichen rechnen. Trotz oder gerade weil Gott unser Leben manchmal merkwürdig durchkreuzt.
Da ziehe ich Trost und Kraft aus meinem Glauben, weil ich weiß: Gott selbst kennt das Leiden, hat gelitten und leidet mit – auch heute, mit mir. Gott verhindert nicht, dass wir Schlimmes durchmachen müssen. Immer wieder Abschiede, Krankheiten, Schmerzen, schlimme Nachrichten, Ängste und Sorgen. Da bleiben viele Fragezeichen: Warum, Gott? Das ist die eine Seite. Und dann erfahre ich etwas, was diese Verzweiflung durchkreuzt: Da scheint Hoffnung auf, da fühle ich mich nicht allein und verlassen, sondern ermutigt. Und das geschieht gerade dann, wenn ich mir das Kreuz vor Augen führe. Das ist kein Gott, der vertröstet. Das ist ein Gott, der nichts beschönigt und keine Ausreden hat. Das ist ein Gott, der mit mir leidet und mich trägt. Das kann nur Gott.
Obwohl Jesus auf grausamste Weise ums Leben kam, hat Gott ihn nicht aufgegeben, ganz im Gegenteil. Gott hat seinen Sohn zurück ins Leben gerufen und damit uns allen eine Hoffnung gegeben, die uns stark macht im Leben und im Sterben. Diese Hoffnung kann uns keine Wissenschaft und menschliche Weisheit dieser Welt geben. Sie beruht allein auf dem, in dessen Liebe wir geborgen sind. Heute, morgen und alle Tage.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.