Liebe Gemeinde,
(1. Jetzt geht’s los – endlich Advent?!?)
alle neu macht der? Nein, nicht der Mai, sondern der erste Advent! Heute beginnt etwas Neues, das neue Kirchenjahr, sozusagen eine neue Zeitrechnung. Ich habe mich darauf gefreut. Endlich, nach diesem grauen, trüben November, leuchtet die erste Kerze am Adventskranz. Viele haben es auch zu Hause schon Advent werden lassen. Da leuchten Lichterketten und echte Kerzen. Das frische Tannengrün duftet noch. Vielleicht gibt’s bei euch heute auch schon die ersten Plätzchen. Ich muss gestehen, dass ich gestern nach der Adventskirche schon ein paar Haselnussmakronen genascht habe, die mein Mann frisch gebacken hat. Wunderbar!
Heute ist auch noch der 1. Dezember. Das erste Türchen am Adventskalender darf also auch geöffnet werden. Jetzt beginnt es. Heute ist es soweit! Endlich?!?
Für manche ist diese Zeit nicht nur mit Freude verbunden. Da sind Erinnerungen an früher, Wehmut, Trauer. Vielleicht legt sich auch ein Gefühl von Anspannung auf die Seele. Da fühlt sich etwas nicht so an, wie es sein sollte. Entweder, weil Menschen nicht da sind, die ich bräuchte, die ich gerne um mich hätte – gerade jetzt, wo es auf Weihnachten zugeht. Oder bestimmte Vorstellungen, wie diese Zeit ablaufen soll, halten mich gefangen. Die Wohnung sieht nicht so aus, wie ich es gerne hätte. Weihnachten ist noch nicht geplant. Ich habe gar keine Zeit oder zu viel Zeit. Und im Fernsehen läuft meistens auch nichts Gescheites! Im Dezember ist das Gefühl von Unglücklich Sein für viele Menschen sogar größer als im November! Dabei ist das doch der graue, triste Monat. Das ist verrückt. Und ja, da hat sich etwas ver-rückt – in unseren Erwartungen, in unseren Vorstellungen.
(2. Nicht erst schon Weihnachten, sondern schon jetzt, ist er da, auf den wir warten!)
Ver-rückt war auch das, was vor ca. 2000 Jahren in Jerusalem passierte. Da waren auch Erwartungen verrückt worden, denn das, was die Menschen erlebten entsprach nicht den überlieferten Erwartungen und Traditionen. Der Prophet Sacharja hatte das Kommen des Messias mit folgenden Worten vorhergesagt: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“ (Sach 9,9) Wir haben diese Worte vorhin schon gehört. Es ist der Wochenspruch für die erste Adventswoche. Wir kennen diesen Satz und beziehen ihn selbstverständlich auf Jesus. Sacharja sprach damals von dem Messias, dem Erlöser, auf den jüdische Menschen bis heute warten. Und dieser wird mit Macht kommen, als König, als Gerechter, als Helfer. Da sehe ich Bilder von einem großen Staatsempfang für einen, der wirklich Einfluss hat, der es mit den Mächtigsten der Welt aufnehmen kann.
Verrückt war, was stattdessen passierte, damals in Jerusalem. Ich lese den Predigttext für den ersten Advent aus dem 21. Kapitel des Matthäusevangeliums (VV.1-11, Basisbibel):
Kurz vor Jerusalem kamen Jesus und seine Jünger nach Betfage am Ölberg.
Da schickte Jesus zwei seiner Jünger voraus und sagte zu ihnen:
„Geht in das Dorf, das vor euch liegt. Dort findet ihr gleich eine Eselin angebunden zusammen mit ihrem Jungen. Bindet sie los und bringt sie mir. Und wenn euch jemand fragt: ‚Was soll das?‘, dann sagt: ‚Der Herr braucht sie.‘ Und er wird sie euch sofort geben.“
So ging in Erfüllung, was Gott durch den Propheten gesagt hat:
„Sagt zu der Tochter Zion: ‚Sieh doch: Dein König kommt zu dir! Von Herzen sanftmütig ist er. Er reitet auf einem Esel, einem jungen Esel – dem Sohn eines Lasttiers.‘“
Die Jünger gingen los und machten alles genau so, wie Jesus es ihnen aufgetragen hatte.
Sie brachten die Eselin und ihr Junges herbei und legten ihre Mäntel auf seinen Rücken. Und Jesus setzte sich darauf. Und die große Volksmenge breitete ihre Mäntel als Teppich auf der Straße aus. Andere brachen Zweige von den Bäumen ab und legten sie ebenfalls auf die Straße.
Die Volksmenge, die vor Jesus herging und die nach ihm kam, rief immer wieder:
„Hosanna dem Sohn Davids! Stimmt ein in unser Loblied auf den, der im Namen des Herrn kommt! Hosanna in himmlischer Höhe!“
So zog Jesus in Jerusalem ein. Die ganze Stadt geriet in Aufregung.
Die Leute fragten sich: „Wer ist er nur?“
Die Volksmenge sagte: „Das ist Jesus, der Prophet aus Nazaret in Galiläa.“
Heilige mich in der Wahrheit, Herr, dein Wort ist die Wahrheit. Amen.
Was für ein Empfang ist das! Nicht mit Staatskarossen und rotem Teppich, sondern mit Palmzweigen und abgelegter Kleidung und einem jungen Esel. So kommt er daher, der Messias. So zieht Jesus in Jerusalem ein. Das ist verrückt, wenn wir uns das richtig überlegen. Kann denn so einer die Welt verändern?
(3. Was bringt er mit? Sanftmut – was für ein Wort!)
Ja, das kann und das wird er! Direkt nach seiner Ankunft wird er zum Tempel gehen, zum Haus seines Vaters, wie er sagt. Er räumt die „Räuberhöhle“ auf, tritt unbeirrt für seine Überzeugungen ein. Da werden Geschäfte im Namen Gottes gemacht, die einzig auf persönlichen Profit abzielen.
Liebe Gemeinde, wie viel wird heute im Namen Gottes gemacht! Kriege geführt, Attentate verübt, Geschäfte gemacht. Das soll – um Gottes willen – nicht sein! Jesus macht das unmissverständlich klar, kurz nachdem die Menschen ihm zugejubelt haben: Hosanna, dem Sohn Davids!
„Hosanna“ oder „hosianna“ heißt „hilf doch!“. Es ist ein Jubelruf, der gleichzeitig bittet. Hier kommt einer, von dem Hilfe zu erwarten ist. Was von ihm zu erwarten ist, weiß der Prophet Sacharja:
Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. Denn ich will die Wagen wegtun aus Ephraim und die Rosse aus Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde. (Sach 9,9-10)
(4. Mit Sanftmut durch den Advent)
Und da kommt er geritten, auf dem jungen Esel. Es kann ja nicht anders, denn die Propheten haben es genauso vorhergesagt. Matthäus charakterisiert den Einzug mit einem markanten Satz: Von Herzen sanftmütig ist er.
Sanftmütig – das ist ein wunderschönes Wort, finde ich. Damit geht für Matthäus eine der Seligpreisungen in Erfüllung: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“ (Mt 5,5) Jesus ist sanftmütig, er besitzt das Erdreich, er ist der neue König, der Friedefürst, auf den alle warten. Er ist sanft und mutig. Dadurch kann er Frieden bringen. Eine ungewöhnliche Wortkombination. Denn normalerweise würden wir Sanftheit vermutlich nicht mit Mut verbinden.
Doch gerade das passiert bei Jesus immer wieder. So kommt er, auch in unsere Welt. So zieht er ein. Auch heute, auch hier. Denn Jesus kommt.
So holen wir uns grüne Zweige ins Haus, bald schon eine ganze Tanne. Wir warten sehnsüchtig auf den Friedefürst. Sanftmütigkeit ist sein Gefährt. So kommt Jesus. Und ver-rückt unsere Erwartungen, kommt anders, als wir es vielleicht gedacht haben. Jesus kommt. Auch zu uns und wir können von ihm Sanftmut lernen: Mut, zu uns zu stehen und dabei auch auf den anderen zu achten, freundlich zu sein – mit uns, unseren Fehlern, aber auch mit denen der anderen, und vereint zu sein in dem Traum, dass der Frieden kommt.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.