Wer ist Jesus? Wieso hat dieser Mensch, der vor 2000 Jahren lebte, noch dazu ganz woanders, heute eine Bedeutung für mich?
Es gibt viele gute Geschichten, die die Bibel über Jesus erzählt. Da ist die Geschichte über seine Geburt und den zwölfjährigen Jesus im Tempel, der seinen Eltern abhandenkam. Da sind die vielen Erzählungen über den ca. 30jährigen Zimmermann aus Nazareth, der sein Elternhaus verließ, um als Wanderprediger umherzuziehen. Wundergeschichten werden berichtet und Lehrworte überliefert. Jesus war mehr als ein außerordentlicher Prediger und Menschenfreund. Er ist Gottes Sohn. Das wird erst richtig deutlich nach seinem Tod. Vor drei Wochen haben wir Ostern gefeiert. Die Auferweckung Jesu ist der Grund, warum Jesus nicht wieder aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden ist.
Jesus ist Gottes Sohn gewesen. Ja, diesen Satz sagen wir im Glaubensbekenntnis. In den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte haben Menschen immer wieder darum gerungen, was das heißt: Jesus ist wahrer Gott und wahrer Mensch. Und ja, das ist schwierig zu verstehen, weil es nichts Vergleichbares aus unserer Erfahrungswelt gibt.
Wer ist also dieser Jesus – für mich?
Dem Evangelisten Johannes war genau diese Frage wichtig. Er überliefert daher eine Reihe von Jesus-Worten, die darauf eingehen, die so genannten „Ich-bin-Worte“. Und so ein „Ich-bin-Wort“ kommt auch im heutigen Predigttext vor. Ich lese aus dem 15. Kapitel des Johannesevangeliums (VV. 1-8):
Jesus sagt: Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg; und eine jede, die Frucht bringt, reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und verdorrt, und man sammelt die Reben und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.
Das ist doch etwas, womit die meisten Pfälzer sich gut auskennen: mit Wein! Der Weinbau ist eine der ältesten Errungenschaften der Landwirtschaft. Schon die alten Ägypter bauten Wein an und in Palästina tat man es auch. Wein war ein beliebtes Getränk, pur oder verdünnt, als Schorle, gesüßt mit Honig und Gewürzen – nicht unbedingt nach unserem heutigen Geschmack. Auch die Art des Weinbaus unterschied sich sehr von heutigen Methoden, in einem aber ist sie gleich: Die Reben gedeihen nur an guten und gepflegten Weinstöcken. Damit guter Wein entsteht, ist viel Arbeit von Nöten. Dabei kommt es mehr auf die Qualität, als auf die Quantität an. Das war damals auch schon so.
Und genau diese Erfahrung nimmt Jesus auf, wenn er sagt: Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner.
Dieses Bild ist ein Beziehungsbild: Wenn Jesus der Weinstock ist und wir die Reben, sind wir mit ihm verwachsen und gehören untereinander aufs engste zusammen. Der Apostel Paulus nutzt in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth ein anderes Bild, um Ähnliches zu beschreiben. Er zeichnet Jesus als den Leib und uns als die Glieder, die Körperteile, die fest dazugehören und alle wichtig sind.
Im Unterschied zu Paulus, der nicht davon spricht, dass der Leib sich von einem Körperteil trennt, hören wir im Johannesevangelium anderes. Da geht der Weingärtner hin und reinigt den Weinstock, indem er die schlechten Reben abnimmt und wegwirft.
Ehrlich gesagt finde ich diese Vorstellung verstörend und beängstigend. Wer kann sicher sein, nicht zu den schlechten Reben zu gehören? Jahrhundertelang wurde Menschen mit Methoden der schwarzen Pädagogik Angst gemacht. Nach dem Motto „Der liebe Gott sieht alles!“ entstand bei Kindern das Bild eines strafenden, unbarmherzigen Gottes. Ich bin sicher: So ist Gott nicht!
Vielmehr nehmen Texte des Neuen Testamentes, die von Strafe, vom Aussortieren, von Heulen und Zähneklappern reden, eine Erfahrung aus den damaligen Gemeinden auf. Anfeindungen bis hin zu lebensgefährlicher Verfolgung gehörten zum Alltag vieler Christinnen und Christen. Das will Gott nicht. Diese Art von unmenschlichem Verhalten, das Gott ganz und gar nicht will, wird er unterbinden. Unrechtserfahrungen, die wir hier immer wieder machen müssen und gegen die so manches menschliche Gericht machtlos ist, wird Gott sühnen. So stelle ich mir Gottes Gerechtigkeit vor. So handelt der gute Weingärtner.
Gleichzeitig ist dieses Bild vom Weinstock auch als Aufforderung für uns zu sehen, dran zu bleiben, nicht locker zu lassen. Glaube heißt: in Bewegung sein. Es ist nicht selbstverständlich, dass ich einfach am Weinstock hänge für alle Ewigkeit. Gott, der Weingärtner, pflegt mich, sorgt dafür, dass ich wachsen kann und gedeihe. Das alles gelingt, wenn ich dranbleibe – am Weinstock. Und Jesus erklärt, wie das geht: Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.
Wir sind mit Gott, mit Jesus verbunden, durch unseren Glauben. Dieser wird immer wieder neu durch Gottes Wort geweckt und bestärkt. Das ist sozusagen der Nährstoff für die Reben. Außerdem gedeihen die Reben durch Gottes Kraft, seinen Segen und durch die Gemeinschaft. Eine Traube, eine Rebe allein macht keinen Weinstock aus.
Gemeinschaft macht uns stark. Und das gilt auch jetzt, wo wir nicht hier zusammen singen und beten und Gottesdienst feiern in der Johanneskirche. Gerne sage ich diesen Vers als Entlassvers nach dem Abendmahl, denn er zeigt unser starkes Zusammengehörigkeitsgefühl: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Abendmahl werden wir auf längere Sicht hier in der Kirche nicht feiern können. Am Weinstock aber bleiben wir dran. Denn das ist nicht abhängig von Pandemien oder anderen Ereignissen. Dabei kommt es nur auf mich persönlich und meine Einstellung an. „Willst du mir nachfolgen?“, fragt Jesus mehrere Male in der Bibel. Diese Frage gilt uns auch. „Willst du zu mir gehören?“ Dann bleib dran, lass dich stärken und bringe Frucht.
Wer ist dieser Jesus? Er ist der Weinstock, der mich täglich hält. Er ist die Kraft, die mir oft fehlt. Er ist der Grund, warum wir alle verbunden sind. Er ist Gottes Sohn, der einen Plan für mich hat, auch wenn ich oft nicht weiß, welchen. Er hilft mir, im Leben und im Sterben. Deshalb hat er Bedeutung für mich.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.