Predigt zur Diamantenen Konfirmation am 5. Sonntag nach Trinitatis (30.06.2024) über Lukas 5,1-11 von Kerstin Strauch

Liebe Gemeinde,

da, wo ich geboren wurde, wird die so genannte fünfte Jahreszeit ganz groß gefeiert. Da gibt es so einen berühmten Karnevalsschlager, der mit den Worten beginnt: „Einmol Prinz zo sin in Kölle am Rhing“ – einmal in seinem Leben Prinz oder Prinzessin zu sein, davon träumen viele. Fast jeder Mensch träumt manchmal davon, dass etwas passieren wird, wodurch sich alles mit einem Schlag ändert. Vielleicht träumen Sie von einem Sechser im Lotto oder davon, dass Sie etwas Wunderbares erfinden, z. B. einen Impfstoff gegen Krebs oder ein Auto, das nur noch mit Wasser fährt. Naja, aber solche Dinge passieren immer nur anderen Menschen, nicht einem ganz normalen Mann oder einer ganz normalen Frau.

Für Menschen, die so über sich denken, so wie du und ich, hat Lukas die Geschichte aufgeschrieben, die wir eben als Lesung gehört haben. Er erzählt, wie Jesus eingegriffen hat in das Leben von ganz normalen Fischern, die wie hundert andere am See Genezareth Tag für Tag ihrer Arbeit nachgingen. Da ist zunächst Simon, der spätere Petrus genannt wird, außerdem hören wir von zwei Brüdern, den Söhnen des Zebedäus. Die beiden heißen Jakobus und Johannes. Simon ist frustriert. Die ganze Nacht hat er gearbeitet, war draußen auf dem See – für nichts. Seine Netze sind leer. Nun sitzt er am Ufer und überprüft die Netze auf undichte Stelle, stopft die Löcher. Und es ist nicht nur Simon, dem es so geht. Alle Fischer am See Genezareth ringen mit der Existenz. Der Fischfang ist schlecht geworden in letzter Zeit. Es reicht ja kaum zum Überleben.

Diese Sorgen beschäftigen uns auch heute. Die Corona-Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen. Kriege erschüttern die Welt. Der Klimawandel ist nicht mehr aufzuhalten. Die Wirtschaft ist angespannt. Viele Unternehmen, große wie kleine, kämpfen ums Überleben. Es herrscht Fachkräftemangel. Dazu kommen ganz persönliche Ängste und Nöte um die Gesundheit, das finanzielle Auskommen, um die Familie. Noch nie haben sich so viele junge und alte Menschen in Deutschland einsam gefühlt wie jetzt. Mit all diesen Entwicklungen leben wir. Sie gehören zu unserem Alltag, sind teilweise zur Normalität geworden. Können wir mit dieser Normalität leben? Ich gebe zu, es fällt mir schwer.

Jetzt hören wir, wie einer kommt, der die Normalität durchbricht. Es ist Jesus.

Da passiert etwas ganz Außergewöhnliches, etwas Wunderbares. Doch gehen wir noch einmal einen Schritt zurück.

Am Anfang wird erzählt, wie sich viele Menschen um Jesus scharen, weil sie seine Predigt hören wollen. Das ist etwas ganz Normales, was hier erzählt wird. Seit Hunderten von Jahren ist diese Praxis üblich in den Synagogen. Die Menschen hören auf die Lehre ihres Rabbis. Manchmal übersehen wir, dass da auch eine Menge Menschen von Jesus inspiriert wurden, die nicht am Rande der Gesellschaft standen, sondern „ganz normal“ waren – so wie du und ich. Jesus lehrt sie, legt ihnen Gottes Wort, die Thora aus und sie hören zu, erzählen weiter, was sie erfahren haben. Genauso ist es auch an diesem Vormittag am Ufer des Sees Genezareth. Um besser verstanden zu werden und alle im Blick zu haben, lässt Jesus sich auf den See hinaus rudern. Zum allerersten Mal hat er Kontakt mit Simon Petrus, der später einer der engsten Freunde von Jesus wird. Nach der Unterweisung – die Menschenmenge löst sich auf – wendet sich Jesus den frustrierten Fischern zu. Bisher haben sie sich wenig um diesen Jesus aus Nazareth gekümmert. Gehört haben sie von ihm, ihn heute auch gesehen. Aber ihre Arbeit macht sich nicht von allein und so sind die Fischer bei den Booten, bei ihren Netzen geblieben. Gefangen in den eigenen Gedanken, verstrickt in die Gesetzmäßigkeiten des Alltags, in Erwartungen und Enttäuschungen. Jesus gelingt es, sie aus diesen Verstrickungen zu befreien. Sie lassen sich auf das Wagnis ein, werfen nochmals ihre Netze aus und erfahren das Wunderbare. Die Netze sind prall gefüllt, als sie diese aus dem Wasser ziehen. Das Alltägliche ist mit einmal Mal durchbrochen. Durch die Begegnung mit Jesus passiert hier etwas, was das Leben von Simon, Johannes und Jakobus auf einen Schlag ändert.

Simon Petrus wird auf einmal klar, dass das, was gerade passiert ist, nicht von Menschen bewirkt wurde. Hier hatte Gott seine Hand im Spiel. Vielleicht sind es Bilder seines Lebens, die im Zeitraffer an seinem inneren Auge vorbeiziehen, vielleicht ist es auch das Grundgefühl, fehlerhaft zu sein, dass Petrus auf die Knie sinken lässt. Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. Petrus fühlt sich nicht gewachsen für das, was da geschieht.

Immer wieder erzählt die Bibel uns von Menschen, denen es genauso ging, als sie Gott begegneten. Mose wollte nicht das Volk Israel anführen, weil er meinte nicht sprachgewandt genug zu sein. David war zu jung, Jesaja fühlte sich zu schlecht, Jeremia zu unerfahren und Simson hatte lange Haare. Das alles gilt nicht vor Gott. Gott sucht sich Menschen aus wie du und ich – keiner ist ohne Makel. Gerade die, die Fehler haben, die sich für unzulänglich halten, werden zu Führungspersönlichkeiten in der biblischen Geschichte. Auch Jesus lässt die Argumente des Petrus nicht gelten. Er macht ihm Mut, fordert ihn zur Nachfolge auf, indem er sagt: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen.

Dieser letzte Satz ist zwar eine schöne Metapher, liegt mir aber doch auch schwer im Magen. Ich will nicht gefangen werden wie ein herumstreunender Hund. Petrus als „Menschenfänger“ zu bezeichnen, das klingt doch alles andere als zum Glauben einladend. Wenn wir auf die Ebene der Geschichte zurückkehren, wird aber schnell klar, was gemeint ist: Die Energie, die die Fischer bisher in ihre tägliche Arbeit gesteckt haben, soll von nun an in eine andere Tätigkeit fließen. Sie sollen den Menschen von Gott erzählen, sie für seine Sache begeistern. Dann wird sich eine neue Lebensperspektive eröffnen, die frei macht von den Verstrickungen, in die wir uns verfangen haben. Die Fischer sind überzeugt davon, dass sie von nun an einen anderen Weg einschlagen werden. Sie geben ihre gesamte Existenz auf und gehen mit Jesus mit, folgen ihm nach. Soweit die Erzählung im Lukasevangelium.

Was bedeutet diese Geschichte für uns?

Wenn etwas Wichtiges den Weg des Menschen kreuzt, wird eine Entscheidung fällig. Entscheidung bedeutet auch immer Verlust. Die Fischer entscheiden sich, mit Jesus zu gehen. Das heißt, dass sie vieles zurücklassen: ihren Broterwerb und ihre Familien. Was haben sie dabei zu gewinnen? Genau das, was sie verlieren. Denn sie werden auf eine neue Art Fischer werden und auf eine neue Art Geschwister.

Daher ist es kirchliche Tradition geworden, dass die Menschen einander Brüder und Schwestern nennen, die Jesus nachfolgen. Brüder und Schwestern, das sind auch wir, die wir uns heute Morgen hier versammelt haben, liebe Gemeinde.

Und eine Entscheidung haben auch Sie, liebe Diamantenen Konfirmandinnen und Konfirmanden, vor 60 Jahren getroffen. Sie haben Ja gesagt zu ihrer Taufe, die sie oft als kleines Kind empfangen haben. Sie wurden aufgenommen als vollwertige Mitglieder in die Gemeinschaft, sie wurden zu Schwestern der anderen Gemeindeglieder. Sie wurden eingesegnet vor 60 Jahren. Der Segen ist jedem einzelnen unter Handauflegung zugesprochen worden. Das werden Sie auch heute wieder erfahren.

Vor 60 Jahren – da sah die Welt und da sah es in unserer Kirche noch ganz anders aus. 420 Konfirmandinnen und Konfirmanden wurde damals hier in den Pirmasenser Innenstadtgemeinden konfirmiert. Heute sind es keine 40 Jugendliche mehr. Es ist nicht mehr selbstverständlich, zur Kirche zu gehören, sich zu seinem Glauben zu bekennen.

Vieles ist nicht gut in unserer Welt, in unserem Umfeld und auch nicht in der Kirche. Viele sagen: Die Kirche bringt mir nicht – also trete ich aus!

Was also „bringt“ Kirche?

Für mich ist Kirche ein Ort, wo Menschen Gemeinschaft erleben, Impulse für ihren Glauben bekommen, wo über Werte im guten Sinne gestritten wird und immer wieder auch die in den Blick genommen werden, die unsere Hilfe benötigen. Kirche hat keinen Selbstzweck. Denn Kirche ist immer Kirche für andere. Und genau da sind wir gefragt: Denn Kirche ist in erster Linie nicht die Institution, sondern die Menschen, die sie ausmachen. Wir alle sind Kirche! Wir sind die, die Jesus ruft zu den Booten, zu den Menschen.

Es gibt so viele Menschen, die den Kopf nicht über Wasser halten können, Menschen, die in tiefster Dunkelheit leben. Es ist die Absicht von Jesus, dass diese Menschen „aufgefischt“ werden, dass sie ans Licht gelangen und festen Boden unter die Füße bekommen.

Doch das kann Jesus nicht alleine. Daher steht ganz am Anfang seines Wirkens diese Geschichte, die davon erzählt, wie Menschen ihr Schicksal an Jesus knüpfen. Diese Menschen sind ganz verschieden. Es sind Männer und Frauen, Alte und Junge, Reiche und Arme, Normale und Ungewöhnliche, Gelehrte und Einfache. Alle lädt Jesus ein, ihm zu folgen.

Für Menschen wie du und ich ist dieser Text erzählt und aufgeschrieben worden. Für Menschen, die sich einsetzen für andere, für Gerechtigkeit, für den Frieden. Das kostet Kraft. Und ich denke, liebe Diamantene Konfirmandinnen und Konfirmanden, das haben Sie in den vergangenen 60 Jahren auch erlebt: Da mussten schwere Entscheidungen getroffen werden. Da haben Sie sich für jemanden stark gemacht, der Hilfe brauchte. Sie haben Streit geschlichtet und Ruhe bewahrt. Und manchmal auch selber auf die Hilfe anderer gebaut. Es zugelassen, schwach zu sein und nicht perfekt. Das sind wir alle nicht. Im Sprüchebuch heißt es: Vertraue dem Herrn von ganzem Herzen! Erkenne seinen Willen auf allen deinen Wegen, so wird er dir den Weg bahnen. (Spr 3,5-6) Das sagt einer, der weiß, dass er sich immer auf Gott verlassen kann. Einer, der darauf vertraut, dass Gott da ist, einen Weg bahnt und uns auf diesem Weg begleitet. So ist Gott. So war er vor 60 Jahren. So ist er heute. Und so wird er auch in Zukunft sein. Als Brüder und Schwester sind wir unterwegs – wie die Jünger damals auf dem See.

Was die Zukunft bringt, wissen wir nicht. Aber auch heute sagt Jesus zu uns: Fürchte dich nicht! (Lk 5,5) Er wird mit uns gehen und bei uns sein. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

Amen.

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