Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste.
Und sie sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.
Und der HERR sprach zu Mose:
Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der HERR, euer Gott bin.
Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager.
Und als der Tau weg war, siehe, da lag’s in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde.
Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat.
Das ist’s aber, was der HERR geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte.
Und die Israeliten taten’s und sammelten, einer viel, der andere wenig.
Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.
[1. Wüstenzeiten – damals und heute]
Liebe Gemeinde,
Wüstenzeiten sind auf vielerlei Arten anstrengend, kosten Kraft, ziehen uns runter, manchmal mischt sich Angst oder Verzweiflung darunter und wir sehnen uns danach, dass diese Wüstenzeiten zu einem Ende kommen. Wüstenzeiten können bildlich gemeint sein – oder auch wörtlich, so wie im Fall der Israeliten damals, nachdem sie Ägypten verlassen haben. Sie sind frei, nicht mehr Sklaven und unterdrückt durch die Ägyptischen Machthaber, frei von der Plage der täglichen Schufterei und den täglichen Prügelstrafen. Frei, um auf dem Weg zu sein ins gelobte Land, wo Milch und Honig fließen sollen. Doch all diese Freiheiten geraten in den Hintergrund bei den aktuellen Beschwernissen des Alltags. Und der sieht für die Israeliten nicht besonders schön aus. Sie sind buchstäblich in der Wüste unterwegs, Nahrung und Wasser sind knapp, der Weg scheint endlos und ein Ziel ist auch nicht in Sicht. In diesen Wüstenzeiten macht sich Frustration breit – und das Murren beginnt.
Wüstenzeiten im übertragenen Sinne kennen wir auch alle. In der Vorbereitung auf diesen Tag heute habe ich bemerkt, dass praktisch alle Kronjuwelen-Konfirmandinnen und –Konfirmanden in sogenannten „Notkirchen“ oder anderen Ausweichgebäuden konfirmiert wurden. Vieles war vor 75 Jahren noch zerstört in Pirmasens, durch die schrecklichen Bombenangriffe während des zweiten Weltkrieges. Auch das war sicherlich eine Wüstenzeit, Zeiten, in denen Nahrungsmittel knapp waren und Häuser zerstört, es fehlte an vielem damals. 5 Jahre später waren zumindest die Kirchen in aller Regel wiederhergestellt, aber Schock und Trauer und Leid gab es sicherlich immer noch.
Und heute? Nie wieder Krieg – dieser Spruch, der für Europa über 70 Jahre Bestand hatte, gilt heute nicht mehr. Nicht nur die Ukraine, auch der nahe Osten ist Schauplatz von Krieg und Terror und Gewalt. Und es gibt einen sogenannten „Rechtsruck“ in Europa. Und das liegt nicht zuletzt daran, dass sich einige Menschen abgehängt fühlen, die Wüstenzeiten durchleben und das Gefühl haben, ganz alleine zu sein mit ihren Sorgen, ihren Ängsten. Das Murren beginnt und einige Parteien machen sich diese Unzufriedenheit leider recht erfolgreich zu nutzen.
[2. Nostalgie – eine kurze Begriffserklärung]
Oft mischt sich zu dieser allgemeinen Unzufriedenheit, diesen Wüstenzeiten auch ein wenig Nostalgie. Früher, ja, bevor wir in diesen Wüstenzeiten waren, da ging es uns gut. Warum kann es nicht wieder so sein wie früher?
Als wir in Ägypten waren, da saßen wir bei den Fleischtöpfen und hatten Brot die Fülle zu essen.
So nehmen es die Israeliten wahr. Früher war vielleicht nicht alles, aber vieles besser. Fleisch und Brot in Hülle und Fülle. Das waren noch Zeiten. Könnte es doch wieder so sein.
Dass die Wirklichkeit ganz anders war, dass die Sklaverei und die Unfreiheit sie massiv belasteten, das sehen die Israeliten nicht. Sie sind unzufrieden – und sie murren.
Auch das ist heute wahrscheinlich nicht sehr viel anders. In den Köpfen der Menschen wird die Vergangenheit oft glorifiziert und die weniger schönen Dinge blendet unser Gehirn oft aus. Früher war alles besser – das mag uns so vorkommen, wahr ist es deswegen noch lange nicht.
[3. Gott sieht das Murren – Himmelbrot]
Diese Erkenntnis ändert nun aber nichts an der Situation der Israeliten in der Wüste oder an der Situation bei uns, wenn wir uns in Wüstensituationen befinden. Die Nostalgie bleibt und der Wunsch, es möge endlich wieder besser werden.
Und das wird es auch. Denn Gott hört das Murren der Israeliten.
Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der HERR, euer Gott bin.
Gott hört das Murren. Und er kümmert sich um sein Volk. Er versorgt es mit Nahrung. Abends Wachteln, morgens Manna – abends Eiweiß, morgens Kohlenhydrate. Er versorgt die Menschen in der Wüste mit dem, was sie brauchen. Er hört ihr Murren – und er lässt sie nicht im Stich. Gott ist bei ihnen – auch und gerade in den Wüstenzeiten ihres Lebens.
Was dieses Manna, dieses Himmelsbrot tatsächlich ist, wir wissen es nicht. Im klassischen Arabisch ist „Manna“ der Sammelname für verschiedene Arten von Pflanzenbelägen, bei denen man annahm, sie seien wie Tau vom Himmel gefallen. Andere denken, Manna ist das morgendliche Ausscheidungssekret von Schildläusen.
Ganz gleich, was sich dahinter verbirgt, es ist Nahrung in schweren Zeiten und hilft dabei, in die Zukunft zu blicken.
[4. Der letzte Schritt]
Doch etwas fehlt noch: Erst das geteilte Brot wird Himmelsbrot. Ich stelle es mir vor: Die Blicke der Israeliten nach rechts und links, das Überlegen im Kopf: wer braucht wie viel, habe ich genug, haben die anderen genug? Und indem sie das tun, werden sie selbst zu Manna. Plötzlich geht es um Gerechtigkeit. Auf einmal zählt, wie viel jeder wirklich zum Leben braucht. Im Unterschied zur irdischen Welt ist es nicht möglich, sich vom Brot Gottes mehr zu nehmen, als der andere hat und benötigt. Mich bewegt das. Mich bewegt das, weil ich das im Alltag manchmal vergesse. Zu überlegen, wer eigentlich gerade wie viel braucht. Mich bewegt das, weil Gott hier eine Gesellschaft etabliert, in der Menschen aufeinander Acht geben. In der niemand auf der Strecke bleibt. Nicht die alten, nicht die jungen, nicht die Israeliten, du nicht und ich nicht. Gott schenkt Himmelsbrot – auch denen, die gesellschaftlich sonst als zu hässlich, zu dumm, zu faul, zu langsam, einfach zu wenig abgestempelt werden. Es geht nicht darum, irgendetwas wieder great werden zu lassen. Es geht um etwas viel Größeres. Gott liebt ohne jede Bedingung. So seltsam und fremd das angesichts weltlicher Mechanismen manchmal scheint. Himmelsbrot für alle. Auch und erst recht für die, die gelegentlich nostalgisch murren.
Dieses Himmelsbrot ist auch euch geschenkt, liebe Gnaden und liebe Kronjuwelenkonfirmandinnen und –konfirmanden. Vor 70 oder gar 75 Jahren sah die Welt noch ganz anders aus. Ihr wart damals auf dem Weg zu Erwachsenenwerden. Die Schulzeit endete und vieles wurde von euch erwartet. Einfach waren die Zeiten nicht. Der eine oder die andere hat so manche Wüste durchschritten. Heute sind es andere Herausforderungen als damals. Euer Leben ist geprägt von Erfahrungen. An manches denkt ihr dankbar zurück. Anderes wäre euch lieber erspart geblieben. Heute aber seid ihr hier, mit allem, was euch beschäftigt und bewegt – vielleicht auch mit dem ein oder anderen nostalgischen Murren. Wie gut, dass ihr hier seid! Und es ist wahrlich ein Geschenk, dieses Konfirmationsjubiläum erleben zu dürfen. Ihr dürft es erleben und ihr dürft das Himmelsbrot schmecken und teilen, das Gott uns jeden Tag neu schenkt.
Wir werden gleich das Abendmahl miteinander feiern. Jesus schenkt sich uns in Brot und Wein. Damit bekommen wir Kraft zum Leben und Weitergehen – auch in Wüstenzeiten. Das wünschen wir euch und Ihnen allen, liebe Gemeinde, von Herzen.
Amen.